In der traditionellen chinesischen Medizin hat der Lungen-Meridian eine besondere Bedeutung als „Herrscher über das Qi“. Wie ein weiser Herrscher, der die Verteilung der Lebensenergie im ganzen Körperreich überwacht, koordiniert er nicht nur unsere Atmung, sondern auch unsere Fähigkeit, auf gesunde Weise mit der Außenwelt zu interagieren. Seine Bedeutung reicht weit über die Lungenfunktion hinaus und betrifft grundlegende Aspekte unserer körperlichen Vitalität und emotionalen Stabilität. Zwischen 3:00 und 5:00 Uhr morgens befindet sich der Meridian in seiner Hauptaktivitätsphase – zu dieser Zeit führt der Körper tiefgreifende Reinigungsprozesse durch und bereitet sich auf den neuen Tag vor.eine andere Person zu verletzen oder uns selbst abzugrenzen.


Energetische Grundlagen und das Metall-Element

Der Lungen-Meridian ist dem Metall-Element zugeordnet, das für den Herbst, die Vergänglichkeit und die Kunst des Loslassens steht. Diese Einordnung macht seine zentrale Funktion deutlich: Ähnlich wie ein Baum im Herbst seine Blätter abwirft, unterstützt uns die Lunge dabei, Überflüssiges loszuwerden und Raum für Neues zu schaffen. Der Meridian hat seine Hauptaktivität zwischen 3:00 und 5:00 Uhr morgens – zu dieser Zeit vollzieht der Körper tiefgreifende Reinigungsprozesse und bereitet sich auf den neuen Tag vor.

In der Lunge wohnt die Körperseele Po, eine der fünf Geistesformen laut TCM. Diese Bewusstseinsebene ist zuständig für Instinkte, körperliche Wahrnehmungen und unsere Fähigkeit zur Abgrenzung. Mit einer harmonischen Po-Energie können wir gesunde Grenzen ziehen und authentisch „Nein“ sagen, ohne dabei andere oder uns selbst zu verletzen.


Häufige Störungsbilder und ihre Behandlung

Der elementarste Syndromtyp ist der Lungen-Qi-Mangel. Er äußert sich in Symptomen wie Kurzatmigkeit, einer schwachen Stimme, kalten Extremitäten und einer erhöhten Anfälligkeit für Infektionen. Menschen, die betroffen sind, fühlen sich oft kraftlos und haben Schwierigkeiten, ihre Meinung kundzutun oder sich abzugrenzen. Emotional zeigt sich dies in übertriebener Trauer, Melancholie und der Unfähigkeit, mit Verlusten umzugehen.

Lungen-Hitze hingegen äußert sich durch trockenen Husten, Halsschmerzen, Fieber und emotionale Unruhe. Die Behandlung nutzt spezifische Akupunkturpunkte: Bei einem Qi-Mangel kommen stärkende Punkte wie Lu 9 und Ma 36 zum Einsatz, während bei Hitze-Syndromen kühlende Punkte wie Lu 10 und Lu 5 verwendet werden.

Die Haut fungiert als „äußere Lunge“ und hat somit eine besondere Funktion: Da der Lungen-Meridian die Grenze zwischen Innen und Außen reguliert, werden Hauterkrankungen oft über ihn behandelt. Chronische Ekzeme oder Allergien sind können eine Indikatoren für eine gestörte energetische Abgrenzungsfähigkeit sein.


Praktische Lebenspflege und moderne Relevanz

Die bewusste Atmung ist der erste Schritt zur Pflege des Lungen-Meridians. Das Lungen-Qi wird durch tiefes Atmen – besonders in der kühlen Morgenluft – gestärkt, wodurch auch die seelische Balance gefördert wird. Weiße Nahrungsmittel wie Rettich, Birnen oder Mandeln fördern die Lungenenergie, während scharfe Gewürze in geringen Mengen die Qi-Zirkulation anregen.


Anatomischer Verlauf und bedeutende Akupunkturpunkte

Der Lungen-Meridian, der 11 Akupunkturpunkte umfasst, startet tief im mittleren Erwärmer, steigt zur Lunge auf und tritt an Lu 1, dem „Mittleren Palast“, an der seitlichen Brust hervor. Er zieht von dort über die Außenseite des Arms zum Daumen, wo er bei Lu 11 endet. Von besonderer Bedeutung sind


Lu 1

Die Zentrale Schatzkammer der Lebenskraft

Stellen Sie sich vor, Ihr Körper wäre das alte chinesische Kaiserreich mit einer zentralen Schatzkammer für das wertvollste Gut – die Lebensenergie selbst. Genau diese Rolle nimmt der Akupunkturpunkt Lunge 1, genannt Zhongfu ("Zentrale Schatzkammer"), ein. Er liegt knapp unterhalb des Schlüsselbeins in einer tastbaren Vertiefung und vereint drei bedeutende Funktionen: Als Mu-Punkt sammelt er die gesamte Lungenenergie wie ein Stausee. Als Eingangspunkt markiert er den Beginn des Lungenmeridians. Als Kreuzungspunkt verbindet er Lungen- und Milzmeridian und damit Atmung und Verdauung.

In der TCM gilt die Lunge als "Meister des Qi". Mit jedem Atemzug nehmen wir kosmisches Qi auf, das sich mit dem Nahrungs-Qi der Milz zum "wahren Qi" vereint – der Lebensenergie, die durch alle Meridiane fließt. Die Lunge soll das Qi nach unten leiten wie ein sanfter Wasserfall. Wenn diese Funktion gestört ist, rebelliert das Qi und steigt auf, was sich als Husten, Asthma oder Atemnot zeigt. Zhongfu beruhigt dieses aufsteigende Qi und stellt die natürliche Abwärtsbewegung wieder her.

Der Lungenmeridian beginnt tief im mittleren Erwärmer bei Magen und Milz, steigt innerlich zur Lunge auf und tritt an Zhongfu an die Oberfläche. Von hier zieht er über Schulter und Arm bis zum Daumen. Diese Verbindung erklärt, warum Lungenbeschwerden oft mit Schulterschmerzen einhergehen – die Energie stockt auf ihrem Weg. Die Kreuzung mit dem Milzmeridian ist bedeutsam: Nach der Fünf-Elemente-Lehre nährt die Erde (Milz) das Metall (Lunge). Eine schwache Verdauung kann zu schwacher Atmung führen, da zu wenig Nahrungs-Qi produziert wird.

Ein zentrales Konzept bei Lungenerkrankungen ist pathogener Schleim – mehr als die körperliche Substanz, sondern eine energetische Verdichtung. Wenn die Milz Feuchtigkeit nicht transformiert, steigt diese zur Lunge auf und blockiert die Atemwege. Lunge 1 wirkt wie ein Transformator, der diese zähen Substanzen auflöst, besonders bei Schleim-Hitze-Syndromen mit gelbem Auswurf und Fieber.

Die Lunge beherbergt den Po, die Körperseele, die uns Instinkt und körperliches Bewusstsein verleiht. Das Metallelement der Lunge trägt die Qualität des Loslassens – physiologisch beim Ausatmen, emotional bei der Trauerverarbeitung. Zhongfu öffnet die "Schatzkammer" auch für emotionale Heilung, besonders bei anhaltender Trauer oder Schwermut.

Wichtige Partnerpunkte sind Lunge 5 ("Teich am Ellenbogen"), der Hitze klärt und Schleim löst, sowie Lunge 7, der die Körperoberfläche öffnet und bei Erkältungen hilft. In der Praxis behandelt man verschiedene Muster: Bei Lungen-Qi-Mangel wird Zhongfu sanft genadelt und mit Moxibustion gewärmt. Bei Schleim-Hitze kombiniert man ihn mit kühlenden Punkten. Die Vorder-Rücken-Kombination mit Blase 13 schafft energetische Durchflutung des gesamten Lungenbereichs.

Der Punkt Lu 1 lehrt uns: Alles ist verbunden. Ein Punkt kann gleichzeitig Atmung regulieren, Verdauung stärken und Emotionen harmonisieren. Die "Zentrale Schatzkammer" bewahrt die Essenz unserer Lebendigkeit – jene Kraft, die uns mit jedem Atemzug mit dem Kosmos verbindet.

Die emotionale Dimension ist besonders relevant: Oft fällt es Menschen mit schwachem Lungen-Qi schwer, Trauer zu verarbeiten oder sich von belastenden Beziehungen zu trennen. Die TCM weist bemerkenswerte Parallelen zur modernen Psychosomatik auf, die ebenfalls den Zusammenhang zwischen Atmung, Stress und emotionaler Regulation betont.

Der Lungen-Meridian vermittelt uns die Fertigkeiten des gesunden Abgrenzens und des bewussten Atmens – Kompetenzen, die in unserer vernetzten, aber oft belastenden Welt für unser Wohlbefinden von grundlegender Bedeutung sind.



Lu 9

Der "Große Abgrund" - Portal zur ursprünglichen Lebenskraft

In der Handgelenkbeugefalte, direkt neben dem fühlbaren Pulsschlag der radialen Arterie, liegt einer der bedeutsamsten Punkte der chinesischen Medizin: Lunge 9, genannt – der „Große Abgrund". Wie ein verborgener Brunnen in der Tiefe der Erde sammelt dieser Punkt die reinste Essenz unserer Lebenskraft. Seine poetische Bezeichnung offenbart seine Natur: Er ist eine Pforte zu den tiefsten Schichten unseres Seins, wo Atem, Herzschlag und Lebensgeist zu einer Einheit verschmelzen.

Die vierfache Kraft von Lu 9

Stellen Sie sich das Meridiansystem als verzweigtes Flusssystem vor – Taiyuan ist Quelle, Sammelbecken und Steuerzentrum zugleich. Diese außergewöhnliche Mehrfachfunktion macht ihn zum vielseitigsten Punkt der Akupunktur.

Als Yuan-Quellpunkt des Lungenmeridians fungiert er wie eine artesische Quelle, aus der das ursprüngliche Qi (Yuan-Qi) ohne äußeren Druck emporsprudelt. Dies macht ihn zum direkten Zugangstor zur fundamentalen Lebenskraft des Lungenorgans.

Als Shu-Bachpunkt entspricht er dem Erdelement innerhalb des metallischen Lungenmeridians. Nach der Mutter-Kind-Lehre nährt die Erde das Metall – deshalb wirkt Taiyuan so kraftvoll stärkend auf die Lunge, indem er ihre „nährende Wurzel" aktiviert.

Die dritte Eigenschaft verleiht ihm systemische Wirkung: Er ist Hui-Treffpunkt aller Blutgefäße. Wie ein Dirigent harmonisiert dieser einzelne Punkt das komplette Gefäßsystem und erklärt seine Verwendung bei Herzrhythmusstörungen und Zirkulationsproblemen.

Zong-Qi – das Sammel-Qi verstehen

Um Taiyuans Wirkweise zu begreifen, ist das Konzept des Zong-Qi zentral. Stellen Sie sich Ihren Körper als Schmiede vor: Das Gu-Qi aus der Nahrung ist das Rohmaterial, das Da-Qi aus der Atmung ist das Feuer. In der Brust vereinen sich beide zum Zong-Qi, dem „Sammel-Qi", das Atmung und Herzschlag antreibt.

Taiyuan ist der Hauptschalter für dieses Sammel-Qi. Wenn die Stimme schwach wird, die Hände kalt bleiben, der Atem flach geht – all dies deutet auf geschwächtes Zong-Qi hin. Die Behandlung mit Lunge 9 mobilisiert diese fundamentale Energie und bringt Herz und Lunge wieder in harmonischen Einklang.

Therapeutisches Spektrum

Die Behandlungsbreite erstreckt sich über drei Ebenen. Bei chronischen Lungenerkrankungen – langwierigem Husten, Asthma, Atemnot aus Schwäche – nährt und stärkt Taiyuan die erschöpfte Lungensubstanz. Im kardiovaskulären Bereich behandelt er Herzstolpern, unregelmäßigen Puls und Brustschmerzen. 

Die psycho-emotionale Dimension offenbart tiefere Weisheit: Das Metallelement regiert nicht nur die Atmung, sondern auch die Körperseele Po, die uns Erdverbundenheit verleiht. Bei schwerer Trauer, Depression nach Verlusten oder dem Gefühl, „in einen Abgrund zu fallen", kann Lunge 9 verirrte Seelen zurückholen und emotionale Stabilität wiederherstellen.

Praktische Anwendung

Bei Mangel-Syndromen verstärkt Moxibustion die tonisierende Wirkung erheblich. In Kombination mit 

  • Ren 17 stärkt man das Zong-Qi, 
  • mit Dickdarm 6 reguliert man Wasserstoffwechsel, 
  • mit Herz 7 harmonisiert man emotionales Gleichgewicht.

Die spirituelle Tiefe

„Großer Abgrund" symbolisiert jenen Ort der Tiefe, wo das Ursprüngliche verborgen liegt – still, geheimnisvoll, unerschöpflich. Taiyuan ist diese Pforte in therapeutischer Form. Wenn die Balance zwischen Himmel und Erde zerbricht, vermag er, in diese Abgründe hinabzusteigen und das Verirrte zurückzuholen.

Lunge 9 verkörpert die Quintessenz der Akupunkturkunst. Die Meisterschaft im Umgang mit Taiyuan bedeutet, den direkten Zugang zur ursprünglichen Lebenskraft zu beherrschen – zu jenem großen Abgrund, aus dem alle Heilung letztendlich entspringt.



Lu 7 

Die Unterbrochene Sequenz in der Traditionellen Chinesischen Medizin

Der Akupunkturpunkt Lunge 7 – „Unterbrochene Sequenz" – markiert jene Stelle, an der der Lungenmeridian seine Richtung dramatisch ändert. Dieser anatomische Wendepunkt symbolisiert seine transformative Kraft: Lunge 7 bricht festgefahrene Krankheitsmuster auf und ordnet sie neu. In der TCM versteht man die Lunge als Regent über das Qi, jene Lebensenergie, die den Organismus durchströmt. Sie verteilt das Qi wie ein Gärtner Wasser über seine Beete. Bei Störungen rebelliert das Qi, steigt nach oben und verursacht Husten, Atemnot oder Brustenge. Lunge 7 lenkt dieses rebellierende Qi zurück in seine natürliche Bahn – wie ein Flussbaumeister einen übergetretenen Strom bändigt. Zudem aktiviert er das Wei-Qi, unsere Abwehrkraft unter der Haut, öffnet die Hautporen und befördert eingedrungene Krankheitsfaktoren nach außen.

Anatomie und Punktkategorien

Lieque liegt etwa zwei Fingerbreit oberhalb der Handgelenksbeugefalte in einer V-förmigen Vertiefung zwischen zwei Sehnen. Seine außergewöhnliche therapeutische Potenz erklärt sich durch vier hochrangige Funktionen: Als Luo-Punkt verbindet er Lungen- und Dickdarmmeridian wie eine Brücke. Als Meisterpunkt des Ren Mai (Konzeptionsgefäß) reguliert er gynäkologische Funktionen. Als Kommandopunkt für Kopf und Nacken behandelt er alle Beschwerden dieser Regionen aus der Ferne.

Klinische Anwendung

Lunge 7 behandelt das gesamte Spektrum der Atemwegserkrankungen: Husten, Asthma, Bronchitis und Heiserkeit. Bei Erkältungen kombiniert mit Dickdarm 4, öffnet er Hautporen und aktiviert die Abwehr, bevor sich Pathogene festsetzen. Als Kopf-Kommandopunkt lindert er Kopfschmerzen und Nackensteifigkeit, bei verstopfter Nase wird er mit Dickdarm 20 kombiniert. In der Frauenheilkunde hilft er bei Menstruationsstörungen, seine Wirkung auf den Wasserhaushalt zeigt sich bei Ödemen.

Emotionale Dimension und Praxis

Besonders faszinierend bei Lunge 7 ist emotionale Wirkung: Das Metallelement korrespondiert mit Trauer. Die Lunge beherbergt das Po – jenen Seelenaspekt körperlicher Vitalität. Bei Nadelung können Patienten spontan weinen – ein heilsamer Prozess, bei dem gestaute Trauer abfließt und Blockaden sich lösen. Diese transformative Kraft macht Lunge 7 zu einem Meisterwerk der Akupunktur: Er unterbricht krankmachende Sequenzen, verflüssigt erstarrte Strukturen und ermöglicht dem Qi, wieder frei zu fließen.



Lunge 5

Der "Sumpf am Ellenbogen" in der Traditionellen Chinesischen Medizin

Der Akupunkturpunkt Lunge 5, in der chinesischen Medizin als Chize bekannt, trägt den bildhaften Namen „Sumpf am Ellenbogen". Wie in einem natürlichen Sumpf sammeln sich hier pathogene Faktoren, wo sie transformiert und ausgeleitet werden können. Chize liegt in der Ellenbeugefalte, außerhalb der Bizepssehne, in einer deutlich spürbaren Vertiefung. Als He-Vereinigungspunkt, Wasserpunkt und Sedierungspunkt vereint er drei therapeutische Qualitäten, was seine außergewöhnliche Heilkraft bei akuten Hitze-Zuständen erklärt.

Energetische Funktionen nach TCM-Lehre

Die Hauptfunktion von Lunge 5 besteht darin, Hitze aus der Lunge zu klären. Die Lunge hat die Aufgabe, das Qi nach unten zu leiten, wie ein Wasserfall, der sanft abwärts fließt. Wenn jedoch pathogene Hitze in die Lunge eindringt – etwa durch einen fieberhaften Infekt – rebelliert das Qi und steigt nach oben, statt abzusinken. Dies äußert sich in heftigem Husten, Atemnot oder Asthma. Hier wirkt Lunge 5 wie ein kühlendes Gewitter: Er zieht die Hitze ab, kühlt das System und stellt die natürliche Absenkfunktion der Lunge wieder her.

Seine Dreifachnatur erklärt die besondere Wirkung: Als Wasserpunkt auf einem Metallmeridian nutzt er die Fünf-Elemente-Beziehung, nach der Metall das Wasser nährt – wie Tau sich auf kaltem Metall bildet. Als klassischer Sedierungspunkt leitet er Hitze-Überschuss ab wie ein Überlaufventil. Als Wasserpunkt reguliert er zudem die gesamten Wasserwege des Körpers, denn die Lunge gilt als „obere Wasserquelle", die Flüssigkeiten im Organismus verteilt.

Detaillierter anatomischer Verlauf und wichtige Punkte

Der Lungenmeridian entspringt im mittleren Erwärmer, steigt zur Lunge auf und zieht über die Innenseite des Arms zur Hand. Dabei durchläuft er die Fünf-Shu-Punkte, welche die Wandlungsphasen der Energie vom Oberflächlichen zum Tiefen darstellen – vergleichbar mit einem Fluss, der von der Quelle zum Meer fließt.

Lunge 5 ist der He-Vereinigungspunkt, an dem das Lungen-Qi tief in den Körper eintaucht und sich mit den inneren Organen verbindet. Die anatomische Lokalisation in der Ellenbeugefalte macht ihn leicht auffindbar. Diese Vertiefung wird zur therapeutischen Sammelstelle, wo sich pathogene Hitze konzentriert und ausgeleitet werden kann. Als Wasserpunkt auf dem Metallmeridian verkörpert Chize ein fundamentales Prinzip: Metall kondensiert zu Wasser, die Mutter nährt das Kind – diese Beziehung ermöglicht es, überschüssige Yang-Energie in kühlende Yin-Qualität zu transformieren.

Krankheitsbilder, Indikationen und Behandlungsansätze

Das therapeutische Spektrum konzentriert sich auf akute Hitze-Zustände: Bronchitis mit Fieber und gelbem Auswurf, akutes Asthma mit Atemnot, Rippenfellentzündung oder Lungenentzündung. Das charakteristische Krankheitsbild zeigt produktiven Husten mit gelbem oder grünem Schleim, Brustenge, Fieber und Unruhe.

Wenn Hitze auf Feuchtigkeit trifft, entsteht der hartnäckige Schleim-Hitze-Komplex. Lunge 5 transformiert diesen pathogenen Schleim durch Nadeln oder, in akuten Fällen, durch Blutenlassen. Dabei wird mit einer feinen Lanzette am Punkt gestochen, sodass einige Tropfen Blut austreten – die Hitze wird buchstäblich aus dem Körper entfernt.

Auch bei Blutungen im oberen Körperbereich – Nasenbluten, Bluthusten – ist Chize wirkungsvoll, da er die „kochende" Hitze kühlt. Als lokaler Punkt behandelt er zudem Ellenbogenschmerzen und Sehnenentzündungen.

Bei Schleim-Hitze wird Lunge 5 oft mit Magen 40 kombiniert, dem Meisterpunkt zur Schleimtransformation. Bei Wasseransammlungen paart man ihn mit Milz 9. Wenn neben der Hitze auch Yin-Mangel besteht, kombiniert man mit Niere 6, um kühlende Körpersäfte zu stärken.

Praktische Anwendung und Besonderheiten

Lunge 5 zeigt bei akuten Hitze-Zuständen schnelle Wirkungen. Wichtig: Niemals Moxibustion anwenden! Diese Wärmebehandlung würde bei diesem Hitze-klärenden Punkt die Pathologie verschlimmern – wie Öl ins Feuer gießen.

Faszinierend ist die spirituelle Dimension als einer der 13 Geisterpunkte. Sun Si-Miao erkannte, dass schwere seelische Störungen oft mit „Schleim, der die Herzöffnungen blockiert" einhergehen. Wenn der Geist (Shen) seinen ruhigen Wohnsitz nicht mehr findet, äußert sich dies in Manie, Epilepsie oder schweren Angstzuständen. Lunge 5 transformiert den pathogenen Schleim und erlaubt dem Geist, sich wieder zu sammeln.

Lunge 5 verkörpert die ganzheitliche Weisheit der altchinesischen Medizin: Der Körper verfügt über natürliche Sammelstellen, an denen pathogene Faktoren neutralisiert werden – wie ein Sumpf Verunreinigungen filtert. So wird die Vertiefung am Ellenbogen zum kraftvollen Ort der Heilung, an dem Hitze sich sammelt, um in kühlende Klarheit verwandelt zu werden.